Das Mikrobiom - dein inneres Ökosystem

«Früher war das Mikrobiom ein Tabuthema.»

Wusstest du, dass jetzt gerade Billionen kleiner Helfer um deine Gesundheit bemüht sind?  Im Exklusiv-Interview erklärt Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann wie du deinen Darm stärken kannst.

Frau Prof. Dr. Axt-Ga­der­mann, kön­nen Sie un­seren Leserin­nen und Lesern kurz erk­lären, was man unter einem Mikro­biom ver­steht?

Axt-Ga­der­mann: Das Mi­kro­bi­om be­zeich­net die Ge­samt­heit al­ler Mi­kro­or­ga­nis­men wie Bak­te­ri­en, Vi­ren, Pil­ze und Ein­zel­ler, die un­se­ren Kör­per be­sie­deln – vor al­lem im Darm, aber auch auf der Haut, im Mund oder auf den Schleim­häu­ten. Im Darm le­ben rund 100 Bil­lio­nen Bak­te­ri­en. Die­se Zahl ist so gross dass sie un­se­re ei­ge­nen Kör­per­zel­len weit über­steigt. Das Fas­zi­nie­ren­de ist: Die­se Bak­te­ri­en pro­du­zie­ren Stof­fe, die nicht nur im Darm wir­ken, son­dern über die Blut­bahn un­se­ren gan­zen Kör­per be­ein­flus­sen – Ge­hirn, Haut, Herz, Le­ber, Lun­ge.

Mit An­ti­bio­ti­ka tö­tet man also diese wichti­gen Bak­te­ri­en ab?

Axt-Ga­der­mann: Nicht alle, aber An­ti­bio­ti­ka un­ter­schei­den nicht zwi­schen gu­ten und schlech­ten Bak­te­ri­en. Da­durch wird das emp­find­li­che Öko­sys­tem im Darm, aber auch auf der Haut und den Schleimhäuten ge­schä­digt. Stu­di­en zei­gen, dass eine län­ger­fris­ti­ge, hoch­do­sier­te An­ti­bio­ti­ka­the­ra­pie das Ri­si­ko für Über­ge­wicht deut­lich er­hö­hen kann – weil sich die Bak­te­ri­en­zu­sam­men­set­zung so ver­än­dert, dass mehr Ka­lo­ri­en aus der Nah­rung ge­zo­gen wer­den. Auch kün­stliche Süssstof­fe kön­nen üb­ri­gens das Mikro­bi­om un­güns­tig ver­än­dern. Nach ei­ner An­ti­bio­ti­ka­the­ra­pie soll­te man un­be­dingt ge­zielt das Mi­kro­bi­om un­ter­stüt­zen – mit bal­last­stoff­rei­cher Er­näh­rung und, wenn nö­tig, mit pro­bio­ti­schen Bak­te­ri­en. Idea­ler­wei­se nimmt man Pro­bio­ti­ka so­gar par­al­lel zu An­ti­bio­ti­ka, um Ne­ben­wir­kun­gen wie Durch­fall oder Bauch­schmer­zen zu re­du­zie­ren.

Wie finde ich ein gutes Gleichgewicht zwischen Darmgesundheit und Alltag?

Axt-Gadermann: Das Wichtigste: Man muss auf nichts verzichten. Vielfalt ist entscheidend! Je abwechslungsreicher wir essen, desto artenreicher ist unser Mikrobiom – und desto gesünder. Ein einfaches Beispiel: Ein Frühstück aus Haferflocken, Leinsamen, Chia, Nüssen und frischem Obst versorgt das Mikrobiom schon morgens mit Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Wer wenig Zeit hat, kann so mit einem Glas vorbereitetem Müsli oder Overnight Oats viel erreichen.


Tipp: Für Frauen ist es besonders wichtig, auf genügend Proteine zu achten. Hülsenfrüchte, Linsen oder Kichererbsen sind dafür hervorragend geeignet.

Muss es dafür immer Bioqualität sein?

Axt-Gadermann: Bio ist natürlich besser, weil weniger Pestizid- und Antibiotikarückstände enthalten sind. Aber auch konventionelle Produkte aus dem Supermarkt können gut fürs Mikrobiom sein – vor allem, wenn man regional und saisonal einkauft. Das Mikrobiom kann viel verkraften, entscheidend ist die Vielfalt unserer Ernährung.

Sie kritisieren in Ihren Büchern klassische Darmreinigungen. Warum?

Axt-Gadermann: Unser Darm ist kein schmutziges Abflussrohr, das gereinigt werden muss, sondern ein hochkomplexes Ökosystem. Eine Darmreinigung wirkt auf das Mikrobiom wie eine Brandrodung im Regenwald – die Vielfalt geht verloren. Selbst Probiotika können das nur zu einem kleinen Teil wieder aufbauen. Die einzige sinnvolle Ausnahme ist die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung. Ich bin gegen eine Darmreinigung! Diese macht den Darm nicht gesünder!

Was halten Sie von Saftkuren oder Fastenwochen?

Axt-Gadermann: Fasten ist fantastisch! Es regt Regenerationsprozesse auf Zellebene an, reduziert Entzündungen und kann Alterungsvorgänge verlangsamen. Positiv ist, wenn Säfte durch Ballaststoffe wie Leinsamen ergänzt werden, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten.

Das Thema Verdauung ist für viele noch unangenehm. Wie kann man das ändern?

Axt-Gadermann: Früher war das ein absolutes Tabuthema. Heute ist es leichter, über das Mikrobiom zu sprechen, weil es positiv besetzt ist. Man stellt sich die Bakterien fast sympathisch vor. Und ein gesundes Mikrobiom wirkt sehr attraktiv: Es sorgt für schöne Haut, kann Alterung bremsen, die sportliche Leistungsfähigkeit steigern und sogar die Stimmung verbessern. Das macht das Thema für viele viel zugänglicher.


Und wenn man schon Ver­dau­ung­sprob­leme hat – helfen naturbe­lassene Säfte?

Axt-Ga­der­mann: Ja, bei Ver­stop­fung kön­nen Säfte wie Pflau­men- oder Sauer­kraut­saft sehr hil­fre­ich sein. Sie re­gen die Darmtätigkeit an und sind eine natür­liche Un­ter­stützung. Für die grosse Ziel­gruppe mit Ver­stop­fung­sprob­le­men sind sie eine gute, natür­liche Hilfe.

«Wer sich in jedem Alter fit, gesund und jung fühlen will, kommt um den Verdauungstrakt nicht herum. Ein gesundes Mikrobiom ist wichtig für unsere Gesamtgesundheit. Eine vielfältige Darmflora senkt unseren Blutdruck, hält die Gefäße elastisch und sorgt dafür, dass Medikamente optimal wirken. Darmbakterien können sowohl die Leistungsfähigkeit von Sportlern messbar steigern als auch Senioren vor Gebrechlichkeit schützen. Sie regulieren unseren Stoffwechsel, stärken das Immunsystem, senken das Risiko für Zuckerkrankheit, Übergewicht, halten den Cholesterinspiegel in Schach und unterstützen sogar die Krebstherapie. Und auch das Nervensystem profitiert: Bei der Behandlung von Parkinson, Alzheimer oder Depressionen sollte man immer auch die Darmbakterien berücksichtigen.
Deutschlands Darm-Spezialistin Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann klärt hier über alles auf, was man über den Zusammenhang zwischen Darmgesundheit und einem langen, gesunden Leben wissen muss. Sie gibt einen breiten Überblick über eine darmgesunde Ernährung, geeignete probiotische Bakterien und notwendige Labortests.»